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Philip Julius

„Erzähl doch mal …. Cindy!“

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Cindy war gerade zwanzig, als sie schwanger wurde. In der 30. SSW kam dann die Diagnose: dein Kind wird schwerstbehindert auf die Welt kommen. Im Krankenhaus riet man ihr zur Abtreibung, doch das kam für Cindy nicht in Frage. Nach vielen Höhen und Tiefen lebt sie heute mit Noah als alleinerziehende Mutter und ist glücklicher als jemals zuvor.
Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.

Cindy © Cindy Wissing
Cindy © Cindy Wissing

PJeV: Wie sieht Deine Familie aus?
Cindy: Ich (29) lebe alleine mit Noah (8). Noahs Papa und ich sind seit einigen Jahren geschieden. Noah hat aber eine sehr enge Bindung zu seinem Vater und seinen Großeltern väterlicherseits.
Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Ich habe bei einer Vorsorgeuntersuchung in der 30. SSW erfahren, dass Noah schwer behindert zur Welt kommen würde. Ich war bei dem Vertretungsarzt von meinem Frauenarzt, da dieser im Urlaub war, und er stellte fest, dass Noah zu klein ist und etwas mit dem Gehirn nicht stimmt. Das war für mich allerdings keine wirkliche Überraschung, denn irgendwie hatte ich schon lange gespürt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich hatte sogar mit meinem späteren Mann darüber geredet, was wir wohl machen, wenn das Kind behindert ist.
Nach dem Arzttermin wurden wir dann direkt an eine Fachklinik überwiesen und von da an eng kontrolliert.
Die Ärzte dort haben mich gefragt, ob ich Noah wirklich bekommen wollte. Aber da gab es für mich nichts zu überlegen. Sie haben mir die Seelsorgerin vorgestellt und mich durch die Intensiv- und Überwachungsstation geführt, damit ich weiß, was auf mich zukommen kann.
Ich erinnere mich an eine Situation, etwas später, wo ich auf der Couch eingeschlafen war und geträumt habe, dass das Baby in meinem Bauch durch die Bauchdecke seine kleine Hand an meine legt, fast als wolle es mir sagen: „Mama, wir beide schaffen das schon!“. In dem Moment habe ich meinen Frieden gemacht.
Noahs Geburt war dann auch nicht besonders schön. Er musste per Kaiserschnitt geholt werden, weil er sich nicht gedreht hatte und weil man nicht sicher war, ob er eine natürliche Geburt überhaupt schafft. Nach der Geburt wurde mir Noah gleich weggenommen und versorgt. Man hat mir nur ein Foto von ihm gezeigt, wie er bei einer Schwester mit gelben Gummihandschuhen in den Händen liegt. Außerdem haben sie mir von seinen Fehlbildungen erzählt. Das war einfach schrecklich.
Doch als er dann nach über einer Stunde endlich zu mir durfte, da habe ich mich sofort in ihn verliebt.

Noah © Cindy Wissing
Noah © Cindy Wissing

Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Noah hat das Smith-Lemli-Opitz Syndrom. Er kann nicht laufen und sprechen und er wird teilweise über eine Sonde ernährt.
Noah ist trotz seiner vielen Diagnosen ein wunderbares, fröhliches und glückliches Kind. Und er macht mich glücklich.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Ich stehe um 05:30 Uhr auf. Meist ist Noah dann schon wach. Dann machen wir uns Musik an, kuscheln noch etwas, duschen und machen uns bereit für den Tag. Noah bekommt seine Medikamente und sein Sonden-Frühstück. Um 06:40 Uhr wird Noah vom Schulbus abgeholt. Er geht auf eine Förderschule, wo er auch Therapien bekommt und kommt am späten Nachmittag zurück.
Montags und Dienstags habe ich Berufsschule, komme aber gegen 15:00 Uhr heim. Mittwochs bleibt Noah über Nacht im Pflegeheim, das wie ein Internat an seine Schule angeschlossen ist. Donnerstags kommt Markus, ein Erzieher von der Caritas, und kümmert sich um Noah, geht mit ihm schwimmen oder spazieren. So kann ich an beiden Tagen länger arbeiten. Freitags gehe ich dafür schon um 13:00 Uhr.
Wenn alle Stricke reißen, dann springt auch mal Noahs Oma ein.
Wenn Noah und ich dann gemeinsam zuhause sind und keine sonstigen Termine anstehen, dann machen wir es uns erstmal gemütlich. Für Noah heißt das die Orthesen aus- und den Jogginganzug anziehen und ab aufs Wasserbett oder in den Garten. Manchmal, wenn Noah noch fit und gut gelaunt ist, gehen wir auch nochmal spazieren oder ein Eis essen.
Abends gehen wir immer, auch wenn es nur für eine halbe Stunde ist, zu einem Rentnerpaar in der Nachbarschaft. Die beiden habe ich im Wahlhelferteam kennengelernt und wir haben uns prima verstanden. Da ich nicht gern für mich allein koche, gebe ich den beiden etwas in die Haushaltskasse dazu und sie kochen für mich mit. Das ist sehr schön, denn so haben wir alle soetwas wie Familienanschluss.
Um 19:00 Uhr geht Noah ins Bett. Wir höre dann noch etwas Musik, kuscheln oder lesen noch eine Geschichte.
Ich selbst gehe gegen 23:00 Uhr ins Bett, wenn ich Noah nochmal etwas zu trinken und die letzten Medikamente gegeben habe.
Wenn Noah am Wochenende mal bei seinem Vater ist, gehe ich mit Freunden raus und schlafe am nächten Tag einfach mal aus. Das ist dann meine Zeit.

Cindy und Noah © Cindy Wissing
Cindy und Noah © Cindy Wissing

Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Glücklich macht mich, wenn ich sehe wie mein Kleiner strahlt und er so viel Freude am Leben hat. Ich bewunder ihn für seine Stärke. Jeden Morgen, wenn ich in sein Zimmer komme, lächelt er mich an und nimmt mich in den Arm.
Angst macht mir der Gedanke, Noah irgendwann mal gehen lassen zu müssen. Diese Gedanken überkommen mich oft, wenn es ihm schlecht geht. Es passiert leider häufig, dass Noah ins Krankenhaus muss, wenn er zum Beispiel einen schweren Anfall hatte oder wenn er operiert werden muss. Er hatte schon so viele Operationen. Das sind Momente, da holt einen die grausame Realität ein.
Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Da Noah in die Schule geht, wird er tagsüber dort versorgt und gepflegt. Noah geht gern in die Schule. Nachmittags und nachts übernehme ich. Einmal die Woche kommt jemand von der Caritas über die Verhinderungspflege und einmal die Woche geht Noah in Kurzzeitpflege um mich zu entlasten.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Bevor Noah kam, habe ich Altenpflegerin gelernt. Da ich jedoch noch mitten in der Ausbildung war, als ich schwanger wurde, habe ich die Ausbildung nicht beenden können.
Nach seiner Geburt konnte ich lange nicht arbeiten gehen, doch jetzt ist Noah soweit stabil, dass es wieder möglich ist. Ich mache gerade eine Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement in einem Krankenhaus. Das passt natürlich toll, da ich ja selbst pflege und daher mit den Produkten gut vertraut bin. Im September habe ich meine erste Prüfung. Im Mai / Juni nächsten Jahres bin ich dann fertig. Leider weiß ich schon, dass ich nicht übernommen werden kann. Aber ich bin sicher, dass ich eine gute Stelle finde.

Cindy und Noah © Cindy Wissing
Cindy und Noah © Cindy Wissing

Was bedeutet Urlaub für Euch?
Ich habe mit Noah leider noch nie wirklich Urlaub gemacht, da ich mir es finanziell nicht leisten kann. Wenn ich frei habe, dann versuchen wir aber trotzdem, es uns schön zu machen. Ich freue mich auf den Juli, denn da habe ich drei Wochen frei. Das heißt einfach mal länger ausschlafen und alles mit mehr Ruhe machen. Nicht getrieben sein von Terminen und Zeitdruck. Ich freue mich darauf, mit Noah in den Zoo zu fahren und Freunde zu besuchen. Oder wir gehen einfach nur in den Garten. Meine Freunde sagen oft, dass mein Garten so schön ist, dass ich garnicht wegfahren muss um Urlaub zu machen.

Noah © Cindy Wissing
Noah © Cindy Wissing

Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Wir wir frei haben, dann machen wir gerne Ausflüge. Einfach mal raus aus dem Alltag. Für mich heißt das am Abend vorher schon Tasche packen: Medikamente, Spritzen, Nahrung, Tee, Wechselkleidung, Notfallmedikamente usw. Am Morgen sehe ich dann, ob Noah fit genug ist. Ist er gut drauf, dann geht’s los. Wenn nicht, dann bleiben wir einfach zuhause.
Wenn wir länger als einen Tag weg wollen, dann wird es schon schwierig, denn Noah braucht ein Pflegebett. Und ich muss soviele Sachen einpacken, dass das Auto bis unters Dach voll ist. Das ist anstrengend.
Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Ich wünsche mir einfach, dass Noah noch lange so glücklich bleibt so wie er ist und dass wir noch viele schöne Jahre erleben dürfen. Auch wünsche ich mir, dass es uns öfter gelingt, aus dem Alltagstrott auszubrechen und schöne Momente zu erleben, an die ich mich später erinnern kann.
Ich wünsche mir definitiv kein anderes Leben. Ich bin glücklich, so wie es ist.
Sie haben Interesse, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@philip-julius.de. 
Titelfoto: Lisa Schürmann
Noah ist übrigens auch Werbestar. Hier geht es zum Werbespot für das Kinderhospiz Balthasar mit Christoph Maria Herbst.

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