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Philip Julius

„Erzähl doch mal …. Natascha!“

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„Erzähl doch mal …. Natascha!“

Familie Frehe_Willkür Der Kassen

Nataschas Sohn Paul kommt als frühes Frühchen in der 25. Schwangerschaftswoche per Notkaiserschnitt auf die Welt. Er entwickelt sich prächtig, doch als er drei Monate alt ist, muss er an einem Leistenbruch operiert werden. Von dortan ist nichts wie vorher, denn Paul erleidet, vermutlich während der Operation, einen schweren Sauerstoffmangel. Mittlerweile ist Paul vier Jahre alt und mehrfach schwerstbehindert. In der Juni-Ausgabe von „Erzähl doch mal…!“ berichtet uns Natascha aus ihrem Leben mit ihrer kleinen Familie.
Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.

Natascha © Nadine Bauer
Natascha © Nadine Bauer

PJeV: Wie sieht Deine Familie aus?
Natascha: Meine Familie besteht aus meinem Mann Carsten (38), mir (35) und unserem Sohn Paul (4), den wir meist nur Paulemaus nennen. Außerdem gibt es noch Pauls Assistenzhündin Miss Marple (18 Monate, Labrador), Oma und Opa, die uns helfen und unterstützen wo es geht, und meine Patentante, die von meiner Seite aus Oma und Opa ersetzt.
Miss Marple haben wir seit sie sie 13 Wochen alt ist. Wir bilden sie zusammen mit einer Trainerin als Epilepsie-Assistenzhund aus. Die Ausbildung dauert drei Jahre und ist eine spannende Herausforderung für uns alle. Miss Marple ist definitiv wie ein zweites Kind und sie macht den Blödsinn, den Paul nicht machen kann. Wir hängen sehr an ihr.
Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Paul war ein frühes Frühchen. Er kam in der 25. Schwangerschaftswoche per Notkaiserschnitt auf die Welt, weil ich das HELLP-Syndrom ausgebildet hatte und der Zustand für uns beide von jetzt auf gleich kritisch wurde.
Zuerst hat Paul sich ganz prima entwickelt, doch mit knapp drei Monaten hatte er einen Leistenbruch, der operiert werden musste. Nach der Operation hat Paul viel geschlafen und ganz schlecht Nahrung aufgenommen. Das waren die ersten Zeichen. Wir vermuten, dass Paul während der Operation nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde.
Pauls Behinderung konnte damals natürlich noch nicht konkret von den Ärzten benannt werden. Sie sagten es kann sein, dass er sich ganz normal entwickelt, es kann aber auch sein, das er Entwicklungsschritte auslässt oder dass er „einige kleine Baustellen“ haben wird. So kam es, dass sich alles Stück für Stück in unser Leben geschlichen hat. Wir konnten in die Behinderung von Paul reinwachsen. Ich erinnere mich noch gut wie ich vor seiner Wiege saß und mir dachte: ach was soll schon sein, er kann ja alles bewegen… Die ernüchternden Diagnosen kamen dann viel später.

Paul © Nadine Bauer
Paul © Nadine Bauer

Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Paul ist ein so genanntes ICP-Kind, so nennen es die Ärzte. Ich sage oft, und das meine ich nur liebevoll, Pauls Gehirn ist durch die Schädigung wie ein Nudelsieb. Paul ist blind, hat eine undefinierte Epilepsie, ist geistig- und körperlich behindert. Das heisst, er kann nicht selbstständig sitzen, er kann sich nicht fortbewegen, seinen Kopf  nur bedingt halten.
Wir haben das Glück, dass Paul meistens ein sehr fröhliches Kind ist. Man kann ihn mit Geräuschen und Blödsinn so unbeschreiblich glücklich machen und wenn Paul lacht, das ist das Schönste auf der Welt. Das tut so gut, da vergisst man die ganzen negativen Dinge, die sein Nudelsieb mit sich bringt.
Wir haben viele tolle Menschen an unserer Seite, die uns unterstützen und immer für uns da sind. Ich glaube zudem, dass es mein Glück war, dass ich die Möglichkeit hatte unbefangen mit Paul und seinen Baustellen zu wachsen. Ich versuche, so häufig wie möglich normal zu sein und auch Paul, Carsten und Miss Marple Normalität zu bieten. Wir bemühen uns, mit Paul so viel wie Möglich zu unternehmen, um ihn in alle Bereiche unseres Lebens mit einzubeziehen.
Wir leben ständig im hier und jetzt, denn viel im Vorraus zu planen ist meistens nicht möglich. Hat Paul einen guten Tag, dann machen wir schöne Sachen und genießen es. Hat er einen schlechten Tag, versuchen wir ihn irgendwie rum zu bekommen. Haken dran und auf den neuen Tag warten, der dann vielleicht besser wird.

Natascha und Carsten © Nadine Bauer
Natascha und Carsten © Nadine Bauer

Wie sieht Dein Alltag aus?
Mein Alltag besteht zu 100% aus Paul. Ich plane alles um ihn herum. Morgens aufstehen und flott flott flott…. Paul anziehen, ihn füttern, dann ca. zwei mal die Woche sogar noch vor dem Kindergarten zur Physiotherapie, oder an normalen Tagen direkt in den Kindergarten. Dorthin fahren wir ca. 30 Minuten und Paul und Miss Marple sitzen beide, meist noch ziemlich müde, hinten im Auto.
Im KiGa angekommen, wird erstmal kurz mit den Erziehern geschnakt und dann gehen Miss Marple und ich meist noch beim KiGa etwas spazieren. Der KiGa liegt toll am Feld und Wald.
Anschließend fahren Miss Marple und ich Richtung Heimat. Auf dem Weg müssen wir meist noch schnell einkaufen und zuhause wird dann der Haushalt gemacht, bevor ich um 13 Uhr wieder zur Kita muss, um Paul abzuholen. Wieder zuhause wird dann Paulemaus gefüttert und mit ihm und Miss Marple der Nachmittag verbracht.
Nachmittags machen wir mit Paul spannende Sachen wie z.B. Schwimmkurs in der Blindenschule oder Therapeutisches Reiten oder wir gehen einfach nur ein Eis essen.
Abends bringt Carsten den Paul ins Bett. Das ist ihr ganz persönliches Abendritual und für mich bedeutet es eine kleine Auszeit.
In den Nächten bin ich zudem sehr häufig gefragt, denn Paul hat gerade nachts sehr viele epileptische Anfälle und zudem Sekretprobleme. Generell schläft Paul sehr schlecht. Daher kämpfen wir gerade wieder um eine Nachtdienstversorgung durch einen Pflegedienst, damit Paul auch in der Nacht gut versorgt ist und ich mich guten Gewissens mal ausschlafen kann.
Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Mich macht es glücklich zu sehen, wie glücklich Paul ist. Momente mit unserer kleinen Familie machen mich glücklich. Mich macht es glücklich, wenn Paul gut gegessen hat oder wenn ich sehe, wie toll meine Männer kuscheln oder wie stolz der Paul im Buggy sitzt, wenn er mit seinem Papi und Miss Marple spazieren geht. Mich macht es glücklich, wenn ich abends mit meinen Freunden essen gehe und einfach ein Stückweit alles normal ist. Mich macht die Zeit mit meinem Mann glücklich, besonders wenn wir „Mutti-und-Vati-Abend“ machen und ausgehen. Dann ist entweder jemand vom Pflegedienst, eine Freundin oder Oma und Opa bei Paul.
Besonders schwer ist es, wenn der Paul akut krank ist und wir uns riesige Sorgen machen. Hoffentlich nicht schon wieder eine Lungenentzündung… Hoffentlich überlebt er das… Hoffentlich schlägt das Antibiotikum an….
Auch gibt es Momente, in denen uns bewusst wird, dass Paul nie wie andere Kinder über den Spielplatz flitzen wird. Momente, in denen wir – mal wieder – bei der Orthopädin sitzen, und sie uns – mal wieder – sagt, dass sich nichts gebessert hat… Momente, in denen ich mich frage, wie Pauls Zukunft wohl sein wird. Wie alt wird Paul wohl mal werden? Und wie wird es ihm in ein paar Jahren gehen? Solche Fragen machen mir schon sehr zu schaffen.
Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Mein Kind betreue in der Hauptsache ich. Paul hat außerdem eine ganz tolle Verhinderungspflegerin, seine Petra. Petra ist toll. Bei ihr kann ich ihn mit ruhigem Gewissen lassen, wenn ich etwas zu erledigen habe, oder mal etwas Zeit für mich brauche. Zum Verwöhnen sind Oma, Opa, Tanten und Onkels da. Die Nächte werden hoffentlich bald wieder von einem Pflegedienst übernommen. Diesbezüglich fechten wir gerade einen Kampf mit unserer Krankenkasse aus.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich habe vor Pauls Geburt als Filialleiterin einer Drogeriemarktkette gearbeitet. Dort hatte ich das Glück, dass mein Arbeitgeber mir fünf Jahre Elternzeit gewährt hat.
Da Paul oft krank ist und nicht in den KiGa gehen kann oder ich ihn oft eher aus dem KiGa abholen muss, ist ein Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten zur Zeit allerdings unvorstellbar.
Arbeiten möchte ich aber sehr gern wieder. Ich kann mir auch gut vorstellen, etwas völlig anderes zu machen. Etwas, wo ich die Dinge einbringen kann, die ich durch Paul gelernt habe.

Paul © Nadine Bauer
Paul © Nadine Bauer

Was bedeutet Urlaub für Euch?
Urlaub bedeutet für uns, monatelang alle Eventualitäten durchzuspielen und vorauszuplanen. Wenn alles gutgeht, dann zu entspannen, dem Alltag kurz entfliehen zu können, jedoch aber immer zu hoffen, dass Paul alles gefällt und er stabil bleibt.
Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Mit einem Kind wie Paul in den Urlaub zu fahren, muss wohl geplant sein. Wir müssen unheimlich viel an Hilfsmitteln mitnehmen, wir müssen checken, wie die ärztliche Versorgung vor Ort ist. Was passiert im Notfall? Und natürlich ganz wichtig: können wir dort auch entspannen, oder müssen wir soviel bedenken und organisieren, dass wir garnicht richtig zur Ruhe kommen können?
Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Bisher hatten wir zwei schönste Urlaube. Der erste war als Paul zwei Jahre alt war. Da waren wir in Holland. An einem Tag, da wollten wir unbedingt mit Paul ans Meer und haben ihn in einem Klappbuggy quer durch ein Dünengebiet gezogen. Das war was! Wir müssen heute noch lachen, wenn wir an diese Aktion denken. Zum Glück war Paul da noch klein und leicht!
Unser Urlaub in diesem Jahr war auch ein Traum. Wir waren auf einer Ferienfreizeit für schwerstbehinderte Kinder in Dänemark. Pair haben dort unter anderem mit Paul das erste Mal einen Freizeitpark besucht. Außerdem haben wir am Strand gelegen und einfach in den Tag gelebt. Das war wunderbar und sehr erholsam.

Paul © Nadine Bauer
Paul © Nadine Bauer

Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Wir haben vor einiger Zeit einmal mit der Familiengesundheitspflege, die uns betreut hat, eine Liste gemacht, wo wir aufschreiben sollten, was wir alles mit Paul erleben wollen. Diese Liste würden wir zu gerne abarbeiten.  Ein Punkt ist zum Beispiel mit Paul auf der Aida zu fahren. Diesbezüglich versuche ich mich grad schlau zu machen, denn leider ist das nicht ganz so einfach, denn Paul braucht regelmäßig Sauerstoff und Sauerstoff darf nicht mit an Board genommen werden.
Ein weiterer Punkt, den wir jetzt aktuell abgearbeitet haben, ist der Besuch in einem Freizeitpark. Ich weiß garnicht, wer glücklicher über die Karussellfahrten war, Carsten oder Paul.

(In diesem Film sieht man einen Ausschnitt von Carsten und Paul beim Karussellfahren.)
Wir wünschen uns für die Zukunft noch ganz viele schöne Tage mit unserer kleinen Familie. Und auch weiterhin immer die Zeit und die Achtsamkeit, um auch die kleinen Dinge im Leben wahrzunehmen, denn die sind es, die uns besonders glücklich machen.
Sie haben Interesse, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@philip-julius.de. 
Titelfoto: Nadine Lotze, Lumoid Photo

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