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Philip Julius

„Erzähl doch mal …. Karin!“

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Mit vier Monaten erkrankte Karins Sohn Joshua an einer schweren Form der Epilepsie. Eine Gehirnoperation verspricht Linderung, doch sie bringt nicht den gewünschten Erfolg. Heute ist Joshua 14 Jahre alt, doch auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkindes. Die Pflege erschöpft die Familie körperlich und emotional.
Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.

Karin und Joshua © Familie Ritsche

PJeV: Wie sieht Deine Familie aus?
Karin: Neben mir, Karin (40), gehören mein Mann Dirk (45), mein ältester Sohn Joshua (14), unser Pflegesohn Marlon (12) und meine kleine Tochter Jule (14 Wochen) zu unserer Familie .
Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Joshua erkrankte mit vier Monaten an einer BNS Epilepsie, die sich medikamentös nicht einstellen ließ. Uns blieb nur ein epilepsiechirugischer Eingriff, bei dem der Hirnbalken entfernt und die linke Hirnhälfte „abgeschaltet“ wurde. Joshuas Chancen auf eine Entwicklung zu einem in Stücken selbständigen Leben lagen bei 70% . Leider erwischten wir die verbleibenden 30%. Er wird nie über das Stadium eines Kleinkindes hinauskommen, wird nie laufen oder sprechen lernen.

Joshua © Familie Ritsche

Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Joshi ist schwerstmehrfachbehindert. Er ist halbseitig gelähmt, hat Spastiken und eine Sehbehinderung. Er kann nicht sprechen und ist auf einen Rollstuhl mit angepasster Sitzschale angewiesen. Die Epilepsie ist uns erhalten geblieben. Allerdings hat Joshi nicht mehr bis zu 100 Anfälle pro Tag sondern nur noch ca. drei pro Woche. Hinzu kommt eine neuronale Skoliose, die im September zwingend operiert werden muss, weil Joshis Rippen mittlerweile schon auf dem Beckenkamm aufliegen.
In den ersten sechs Jahre habe ich sehr mit Joshis Schicksal gehadert. Erst eine langjährige Verhaltenstherapie hat mir geholfen anzukommen und anzunehmen. Es ist schwer mit ihm, keine Frage, aber ich bin über die Zeit stärker geworden und kämpfen liegt mir ohnehin im Blut.
Wir bemühen uns jeden Tag aufs neue, das Leben von Joshi lebenswert zu machen, ihm die Schmerzen erträglich zu machen und ihm all das zu ermöglichen, was ihm Spaß macht.
Für mich selbst habe ich das Gefühl, ich wachse mit ihm. Mein großer Sohn ist mein Sonnenschein. Durch ihn hat mein Leben Sinn und sein Lächeln gibt mir die Kraft und die Liebe, die ich brauche.

erzähl doch mal Karin
Familienfoto © Familie Ritsche

Habt Ihr noch weitere Kinder? Wie kommen sie mit der besonderen Familiensituation zurecht?
Als Joshi fünf Jahre alt war, kam ganz unverhofft Marlon zu uns. Er war damals 2 1/2 Jahre alt und schwer traumatisiert. Ich bin gelernte Erzieherin und wir haben als Bereitschaftpflegefamilie damals häufiger Kinder in Notsituationen aufgenommen. Eigentlich bleibt ein Bereitschaftskind maximal ein halbes Jahr, aber die Justitz hat bei Marlon viel zu lange gebraucht, um eine Entscheidung über seinen Verbleib zu treffen. Kurzum: nach eineinhalb Jahren wurde aus Karin und Dirk Mama und Papa.
Im Februar diesen Jahres kam Jule zur Welt, unser absolutes Wunschkind. Mit ihr erlebe ich das erste mal die normale Entwicklung eines Babys mit. Sie ist ein sehr selbstbewusstes kleines Ding und nimmt sich den Platz, den sie braucht. Das ist toll zu beobachten.
Wir versuchen, jedem unserer Kind individuell gerecht zu werden, und ich glaube das gelingt uns ganz gut. Jedes unserer Kinder hat Exklusivzeiten, auch wenn diese manchmal nur sehr kurz sind.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Mein Alltag ist durchstrukturiert und durchgeplant. Morgens stille ich sehr früh erst die Jule, dann bekommt Josh seine Medis und darf noch ein bisschen spielen. In der Zwischenzeit trinke ich meinen Morgenkaffee und leiste Marlon Gesellschaft beim Frühstücken.
Um 7:10 Uhr beginne ich mit der Pflege von Josh, wasche ihn, ziehe ihn an und setze ihn in den Rolli. Während Joshis Pflege muss ich mir immer einen Lärmschutz in die Ohren stecken, da er diese Verrichtungen hasst wie die Pest und das mit lautem Schreien Kund tut.
Um 7:50 Uhr kommt der Bus und holt Josh ab. Marlon ist dann schon aus dem Haus. Dann habe ich Zeit für Jule und versuche, meinen Hauhalt auf die Reihe zu bekommen. Bis 14 Uhr habe ich Zeit zu kochen, Wäsche zu waschen, mit Jule spazieren zu gehen, zum Babyschwimmen zu fahren, Gespräche und Verhandlungen mit Krankenkassen und Behörden zu führen, mich um Hilfsmittel und Termine zu kümmern. Manchmal schaffe ich es sogar noch, mir ein wenig Zeit für mich und meinen Sport herauszuschlagen. Bevor Jule kam, habe ich sehr darauf geachtet, mir genau diese persönlichen Freiräume regelmäßig zu nehmen. Im Moment geht das naturgemäß nur sehr begrenzt. Aber auch diese Zeit wird wieder kommen.
Ab 14:00 Uhr trudeln alle nacheinander wieder ein. Erst kommt Marlon, dann meine Mutter, die mich im Haushalt unterstützt und mit Josh, der um 15:30 Uhr nachhause kommt, meist eine halbe Stunde spazieren geht. Gegen 18:00 Uhr kommt mein Mann von der Arbeit und kümmert sich dann ab 18:30 Uhr darum, dass Josh Abendbrot und Medikamente bekommt und macht ihn fertig fürs Bett. Ich kümmere mich in der Zeit um Marlon und Jule. Gegen 21:00 Uhr schlafen dann meist alle Kinder, sodass Dirk und ich ein bis zwei Stunden für uns haben.
Nachts stille ich aktuell zwei mal und lagere Joshi um. Um 5:30 Uhr geht’s dann wieder los mit einem neuen Tag.

Dirk und Joshua © Familie Ritsche

Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Ich bin glücklich, wenn alle zufrieden sind, wenn wir alle zusammen Abendbrot essen, dabei viel lachen und erzählen. Es macht mich glücklich, wenn meine Männer (und mittlerweile auch Jule) am Sonntagmorgen zusammen auf dem Sofa sitzen/liegen und Löwenzahn sowie danach die Sendung mit der Maus schauen.
Die Pflege von Joshi ist sehr Kräfte zehrend. Besonders schwer ist es, wenn einer von uns krank wird. Josh ist anfällig für Lungenentzündungen, die sehr schnell lebensbedrohlich werden können.
Schwer sind für mich auch die Ferien. Ich habe jetzt schon Bauchweh, wenn ich daran denke, dass ich Josh in den sechs Wochen Sommerferien nur zwei Wochen betreut bekomme und mein Mann, da er einen neuen Job angenommen hat, keinen Urlaub bekommt. Joshua braucht permanente Aufmerksamkeit, will immer Aktion um sich herum haben und ist gerne mit anderen Kindern zusammen. Er mag es nicht, nur Zuhause zu sein. Doch kann ich ihm als seine Mutter keinen Spielpartner ersetzen. Also wird er schreien und maulen, was für mich sehr anstrengend und zermürbend ist.
Marlon fährt zum Glück für drei Wochen ins Zeltlager und verbringt die restliche Zeit meist im Freibad mit Freunden.
Im September steht uns eine schwere Zeit bevor. Joshis längst überfällige Skoliose-Operation steht an. Wir, Joshi, Jule und ich, werden also mindestens 14 Tage im Krankenhaus, 350 km von zuhause entfernt, verbringen müssen und dann weitere sechs bis acht Wochen in der Reha. Ich mag da noch gar nicht dran denken.
Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Die Pflege übernehmen wir selbst, da die Pflegedienste hier vor Ort keine Zeitgarantie geben können. Sie haben zu wenig Personal. An vier Wochenenden im Jahr geht Josh jedoch in die Arche zur Kurzzeitpflege. Dort ist er gerne und wir holen jede Mal ein gut gelauntes Kind ab.
Ich versuche, die Betreuung in den Ferien über die Lebenshilfe und den Familienunterstützenden Dienst (FUD) zu organisieren. Leider schrumpft das Angebot von Jahr zu Jahr und wird gleichzeitig auch immer teurer. Ein Beispiel: ein Tag Ferienbetreuung kostet über den FUD 105 Euro für sechs Stunden. Das sind also im Jahr, nur für die Ferienbetreuung rund 5300 Euro. Einmal im Monat geht Josh noch zum Samstagstreff für drei Stunden, und der kostet auch jedes mal 50 Euro.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich bin Fachwirtin im Sozial und Gesundheitswesen und arbeite als freie Pflege- und Sozialberaterin. Zur Zeit arbeite ich nur wenige Stunden, da die familiäre Situation mir keinen größeren zeitlichen Spielraum lässt.

Joshua © Familie Ritsche

Was bedeutet Urlaub für Euch?
Es gibt für uns zwei Formen von Urlaub, einmal unseren Paarurlaub und dann den Familienurlaub.
Paarurlaub machen wir einmal im Jahr, immer um den 1. Mai herum für zwei Nächte und drei Tage. Nur mein Mann und ich. Wir nehmen uns eine kurze Auszeit, tanken Kraft und führen Gespräche, für die wir sonst keine Zeit haben.
Unseren Familienurlaub haben wir die letzten Jahren in unserem Wohnwagen auf einem Campingplatz an der Ostsee verbracht haben. Leider hat unser Wohnwagena letztes Jahr nach über 40 Jahren das Zeitliche gesegnet und einen neuen (oder gebrauchten) können wir uns nicht leisten. Wann wir also unseren nächsten Familienurlaub machen können steht in den Sternen.
Urlaub mit einem schwerbehinderten Kind ist anstrengend und zwar hauptsächlich körperlich. Gleichwohl lieben mein Mann und die Kids das Campen und was meine Familie glücklich macht, macht auch mich glücklich.

Joshua © Familie Ritsche

Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Wir planen lange im voraus und fahren eigentlich immer an die gleichen Stellen. Dort kennen wir die Infrastruktur, insbesondere die Kinderärzt und Krankenhäuser vor Ort. Das gibt uns Sicherheit.
Ich wünsche mir jedoch mal einen weniger anstrengenden Familienurlaub. Ich träume davon, jemanden vor Ort zu haben, der uns in der Pflege entlastet, so dass Josh gut versorgt ist und wir als Mama und Papa mal etwas nur mit Marlon und Jule unternehmen können. Die beiden kommen so häufig zu kurz. Ich wünsche mir Urlaub an einem Ort, der barrierefrei ist und wo Pflegebett und Lifter einfach vorhanden sind. Ich würde mich so gern auch mal körperlich erholen.
Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Unseren Paarurlaub verbringen wir seit einigen Jahren im Harz. Wir lieben die Natur und das Wandern. Den Familienurlaub verbringen wir sehr gern in Neustadt / Holstein an der Ostsee. Das sind unsre beiden liebsten Urlaubsgegenden.

Joshua © Familie Ritsche

Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass Joshi sich nach seiner Skoliose-Operation gut erholt und dass es ihm nach der OP besser geht. Er weniger Schmerzen ertragen muss.
Zudem wünsche ich mir eine bessere Betreuungssituation für die Kinder, insbesondere für Josh. Im Moment reiben wir uns alle sehr auf und die Kräfte lassen nach. Entlastung ist das, was ich dringend bräuchte.
Auch unsere Wohnungssituation ist nicht ideal. Wir haben zu wenig Raum für zwei Erwachsene und drei Kinder.
Aber am meisten wünsche ich mir Gesundheit. Das ist das Wichtigste und leider nicht selbstverständlich.
Sie haben Interesse, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@philip-julius.de. 
 

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