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Philip Julius

„Erzähl doch mal …. Claudia!“

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„Erzähl doch mal …. Claudia!“

Familie De Jonge_Erzähl Doch Mal Claudia

Als Claudia mit Katharina schwanger wurde, stand ihre Ehe vor dem Aus. Katharina kam vermeintlich gesund zur Welt, jedoch wurde kurz nach ihrem ersten Geburtstag ein schwerer und seltener Gendefekt diagnostiziert. Das Leben mit einem schwerbehinderten Kind hat die Familien wieder zusammengeschweißt und sie gelehrt, was im Leben wirklich wichtig ist.
Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.

Claudia © Claudia de Jonge
Claudia © Claudia de Jonge

Wie sieht Deine Familie aus?
Wir sind eine sechsköpfige Familie, zu der neben meinem Mann Jens (36) und mir, Claudia (39), unsere drei Söhne Julian (18), Manuel (10), Alexander (9) und unsere besondere Tochter Katharina (4) gehören. Katharina leidet seit ihrer Geburt an einem seltenen Gendefekt im CASK-Gen und ist dadurch schwerstbehindert.
Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Nach relativ problemlosen Schwangerschaften mit meinen Jungs war die Schwangerschaft mit Katharina sehr schlimm. Ich war im Verlauf mehrmals im Krankenhaus, erst wegen starker Übelkeit, dann wegen vorzeitiger Wehen. Ich hatte Herzrasen, Bluthochdruck und mein Herz geriet wegen der hormonellen Umstellung aus dem Rhythmus, sodass ich im achten Monat Betablocker nehmen musste und nurnoch liegen durfte. Da hatte ich schon so eine Vorahnung und eine vage Angst, dass noch etwas schlimmeres passiert.
Katharina kam drei Wochen zu früh auf die Welt, vermeintlich gesund. Mit knapp drei Monaten hatte ich jedoch schon den Verdacht, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Sie hat sich für nichts interessiert, hat nur in die Ecke gestarrt und dabei ist ihr häufig der Kopf weggekippt. Jedoch hat mir zunächst niemand geglaubt.
Bei der U4 wurde dann festgestellt, dass ihr Kopf kaum gewachsen ist. Sie hatte einen Kopfumfang wie ein Neugeborenes. Daraufhin wurden wir zum MRT überwiesen in die Uniklinik in Heidelberg. Es folgte eine humangenetische Untersuchung. Aufgrund der vorliegenden MRT-Bilder und Gesichtsmerkmale gab es bereits schon früh einen Verdacht, der sich kurz darauf durch die Blutuntersuchung bestätigte.
Kurz nach Katharinas erstem Geburtstag haben wir dann telefonisch die Diagnose erfahren. Die Diagnose war zuerst ein Schock. Wie durch ein Wunder war an diesem Tag, an dem wir die sie erfuhren, mein Mann zuhause und ging ans Telefon. Ich werde niemals seine Worte vergessen, die er sagte, als die Ärztin ihm erklärte, was los ist…. „Aha, es hat sich also bestätigt“. Dieser Satz brachte mich zum Weinen und ich nahm Katharina ganz fest in den Arm und drückte sie. Ein Satz, der unser ganzes Leben veränderte.
Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Katharina kann nicht alleine sitzen, nicht krabblen, nicht laufen und auch nicht sprechen. Was ihr Gehirn tatsächlich verarbeiten kann, das wissen wir wir nicht. Durch den Gendefekt sind das Kleinhirn und der Hirnstamm nicht richtig entwickelt. Dies führt hauptsächlich zu motorischen Einschränkungen. Der Gendefekt ist so selten und alle bekannten Fälle sind verschieden, dass man man keine Prognose treffen kann, welche Entwicklung möglich und erwartbar ist.
Katharina ist ein so liebevolles und freundliches Kind. Ihr Lachen steckt alle, die sie kennen, an. Es geht ihr gut und das ist die Hauptsache. Am Anfang war es für mich sehr schwer, das alles zu akzeptieren und anzunehmen.
Es gibt Phasen, da ist jeder Tag eine Herausforderung und es gibt Phasen, da ist es verhältnismäßig ruhig. Mit der Zeit sind wir alle zu einem eingespielten Team geworden. Alle helfen mit und es funktioniert Hand in Hand. Das ist toll zu sehen.
Es wäre natürlich mein größter Wunsch, wenn Katharina irgendwann auf mich zulaufen könnte. Wir fördern Sie, wo es nur geht – und versuchen gleichzeitig, sie nicht zu überfordern.
Als wir die Diagnose erfahren haben, gab es zwei Möglichkeiten. Entweder wir verkriechen uns oder wir sind stark und zeigen, dass ein Kind mit einer Behinderung kein Weltuntergang ist. Deshalb haben wir eine Internetseite (www.katharinas-welt.de) für Katharina erstellt, um über ihren Alltag zu berichten. Wir gründeten den Verein „CASK Kinder- und Lebenshilfe e. V.“, um auch anderen Betroffenen zu helfen. Wir designen und verkaufen T-Shirts und von dem Erlös bezahlen wir Dinge, die Katharina braucht. Mein Mann hat außerdem ein Buch über die ersten zwei Jahre mit Kathi geschrieben. Es heißt „Katharinas besondere Welt – sieh das Leben mit meinen Augen“ und es ist im Handel erhältlich. Auch ich arbeite gerade an einem Buch. Nicht nur hilft uns das, die Geschehnisse zu verarbeiten, wir wollen außerdem auch anderen betroffenen Familien Mut machen und zeigen, dass das Leben weitergeht, auch wenn man ein schwer behindertes Kind anvertraut bekommt und dieses Leben dann auch wunderbar lebenswert ist.

Katharina © Claudia de Jonge
Katharina © Claudia de Jonge

Wie kommen Eure anderen Kinder mit der besonderen Familiensituation zurecht?
Unsere drei Jungs lieben und akzeptieren Katharina so, wie sie ist. Sie sagen immer wieder, dass sie sich später um Katharina kümmern werden, wenn wir einmal nicht mehr da sind. Das bricht mir jedesmal fast das Herz und gleichzeitig ist es doch beruhigend zu wissen, dass ihre Brüder immer für sie da sein werden.
Schon als die Diagnose noch ganz frisch war, haben wir mit allen unseren Kindern gesprochen und versucht, sie „aufzuklären“. Unser jüngster Sohn Alexander sagte damals, wir bräuchten gar nicht weiter reden. Er wüsste schon, dass mit Katharinas Kopf etwas nicht stimmt. Da war er gerade 4 Jahre alt. Und Manuel, der Mittlere, meinte eines Abends im Bett zu mir, er war 6 Jahre alt, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, denn er würde immer auf Katharina aufpassen.
Ich bin sehr stolz auf meine Jungs. Sie haben früh gelernt, mit schwierigen Situationen umzugehen und wir halten als Familie zusammen, egal was kommt.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Irgendwie ist der Alltag wie ein sich ständig wiederholender Film. Wir stehen gewöhnlich gegen 7 Uhr auf. Meistens ist mein Mann schon etwas früher auf und macht das Frühstück für die Kinder. Wenn alle dann geweckt sind – mit Ausnahme von Julian, der versorgt sich mit seinen 18 Jahren selbst – müssen erstmal alle das morgendliche Anzieh- und Waschprogramm durchlaufen. Die Jungs machen das selbstständig und Katharina muss natürlich von uns versorgt werden. Wenn die Jungs in der Schule sind, bringen wir Katharina in den Kindergarten. Sie ist in einem Regelkindergarten mit Integrationskraft und liebt es dort.
Für mich ist dann erstmal Hausarbeit angesagt bis die Kinder alle wieder nach Hause kommen. Nach dem Mittagessen mache ich mit den Jungs Hausaufgaben und meistens schläft Katharina noch ein wenig.
In der Regel stehen am Nachmittag Therapien für Katharina auf dem Programm, wie zum Beispiel Physiotherapie oder Logopädie. Wir haben auch einen NF-Walker, mit dem wir mit Katharina laufen üben. Um 18 Uhr gibt es Abendbrot und um 20:00 Uhr spätestens geht es für die Kinder ins Bett. Katharina hat einen sehr unruhigen Schlaf und wacht nachts oft und auch für längere Zeit auf. Das ist sehr anstrengend – aber wir haben gelernt, damit zu leben.

Katharina © Claudia de Jonge
Katharina © Claudia de Jonge

Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Es ist ein wunderbares Gefühl, meine Kinder glücklich aufwachsen zu sehen. Auch Katharina ist ein richtiger Sonnenschein und den ganzen Tag fröhlich. Sie lacht gerne und viel und auch wenn es mir mal nicht so gut geht oder wir uns wegen irgendetwas Gedanken machen, fängt sie einfach an zu lachen als wollte sie sagen „Hey Ihr, das ist doch alles garnicht so schlimm!“.
Meine Kinder sind für mich das größte Glück. Eine Zeit lang war es für mich sehr schwer, gesunde Mädchen in Katharinas Alter zu sehen. Ich habe mir immer ein Mädchen gewünscht und dachte damals, mit Katharinas Geburt wäre unser Glück perfekt. Heute ist es für mich überhaupt kein Problem mehr, denn ich möchte meine Tochter gar nicht anders haben. Sie ist ein Teil von mir, der so wie er ist, perfekt ist.
Vor Katharinas Geburt hatten wir eine schwere Zeit durchgemacht. Unsere Ehe stand auf der Kippe. Jens hat sich in die Arbeit geflüchtet und war quasi kaum noch da. Katharina kam genau richtig, sie hat uns wieder zusammen geschweißt und uns gezeigt, was im Leben wirklich wichtig ist.
In der Zeit nach Katharinas Geburt haben wir viel Hilfe bekommen, insbesondere von Menschen, die wir kaum oder garnicht kannten. Unsere beider Familien haben sich mit Katharinas Diagnose sehr schwer getan. Mit der Familie meines Mannes haben wir heute garkeinen Kontakt mehr. Viele unserer Freundschaften sind in dieser Zeit zerbrochen. Wir waren damals wie in einem Hamsterrad, haben uns fast zerrissen.
Wir haben uns viel Wissen angelesen, an Forschungs- und Selbsthilfegruppen teilgenommen und uns besonders virtuell viel ausgetauscht. Wir waren in Foren aktiv und haben dort andere Eltern kennen gelernt, die in ähnlichen Situationen waren wie wir.
Finanziell ging es uns in dieser Zeit richtig schlecht. Wir konnten uns garnichts leisten. Daher waren wir so gerührt, dass wir über Facebook Menschen kennengelernt haben, die uns einfach unterstützt haben. Wir haben Sachspenden bekommen, Pampers, gebrauchte Kleidung.
Auch die Menschen bei uns im Ort haben uns wunderbar unterstützt. An unsrem ersten Weihnachten mit Katharina haben sie zusammengelegt und Geschenke für die Kinder gekauft. Sogar ein Braten wurde uns gebracht. Das war das schönste Weihnachten, das wir je erlebt haben und wir sind bis heute dankbar und den Tränen nahe, wenn wir daran zurückdenken.
Sicher ist unser Situation oft schwer, aber gerade durch diese schwere Zeit haben wir alle gelernt, dankbar und zuversichtlich durchs Leben zu gehen und zusammen zu stehen.
Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Grundsätzlich betreuue und pflege ich unsere Tochter. Sie hat Pflegestufe 3 mit eingeschränkter Alltagskompetenz. Hierfür erhalten wir zusätzliche Betreuungsleistungen, die wir stundenweise in Anspruch nehmen.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich bin gelernte Altenpflegerin, jedoch im Moment nicht berufstätig. Das funktioniert aktuell leider nicht mit unserem Alltag. ich würde jedoch gern wieder arbeiten, sobald Katharina in die Schule geht.
Was bedeutet Urlaub für Euch?
Wir waren als Familie noch nie gemeinsam in Urlaub. Seit Katharina da ist, ist es auch nicht mehr so einfach, das alles zu organisieren und finanziell ist eine Urlaubsreise für sechs Personen kaum bezahlbar. Die Jungs würden so gerne mal einen Urlaub am Meer. Aber das wird wohl auf absehbare Zeit nicht drin sein.
Unsere Urlaube spielten sich bisher immer zuhause ab. Wir versuchen dann, für die Kinder etwas besonderes zu machen, wie zum Beispiel Ausflüge in Parks oder ins Schwimmbad. Wir müssen dabei aber immer Rücksicht auf Katharina nehmen, denn Hitze macht ihr sehr zu schaffen. Daher ist es leider meist so, dass wir uns aufteilen. Einer von uns bleibt bei Katharina, der oder die andere ist mit den Jungs unterwegs.
Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Wir haben vor etwas mehr als einem Jahr ein Haus gekauft, das wir für die Bedürfnisse von Katharina noch teilweise umbauen müssen. Jedoch hatten wir bisher schon ziemlich viel Pech mit dem Haus und der Aus- und Umbau übersteigt unsere Kräfte. Wir hoffen, dass wir es in naher Zukunft schaffen, den Badumbau zu machen und dann endlich zur Ruhe zu kommen.
Durch all die schweren Phasen haben wir jedoch eines gelernt: man muss jeden Tag bewusst genießen – miteinander und mit den Kindern – , denn niemand weiss, was der nächste Tag bringt.
Am 04.01.2017 berichtet auch RTL Hessen in einem Beitrag über Katharina.
Sie haben Interesse, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@philip-julius.de. 

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