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Philip Julius

„Erzähl doch mal …. Bianca!“

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„Erzähl doch mal …. Bianca!“

Stephan_Erzähl Doch Mal Bianca

Mit gerade einmal 22 Jahren lernte Bianca den damals sechsjährigen, schwerstbehinderten Jungen Stephan kennen und verliebt sich in dessen Vater. Wenig später wandert Stephans Vater nach Thailand aus. Bianca bleibt zurück – und mit ihr Stephan. Heute ist Stephan, der an einem einzigartigen Gendefekt leidet, 24 Jahre alt und der Sonnenschein seiner Pflegefamilie.
Die Rubrik „Erzähl doch mal…!“ erscheint monatlich auf unserer Homepage und stellt jeweils eine Familie mit einem besonderen Kind vor. Hier werden individuelle Geschichten erzählt und Wünsche und Ziele geteilt, die alle in erster Linie eines tun sollen, nämlich Mut machen.

Bianca und Stefan © Bianca Hoffmann
Bianca und Stefan © Bianca Hoffmann

Wie sieht Deine Familie aus?
Zu meiner Familie gehören mein Mann Stefan (35), unser Pflegesohn Stephan (23) sowie unsere Töchter Lea Fabienne (10) und Elli Alexandra (1).
Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Stephan lernte ich im Alter von sechs Jahren als mehrfach schwerstbehindertes Kind kennen. Ich war 22 und arbeitete für die Lebenshilfe. Ich wurde mehrfach in die Familie geschickt um Stephan zu betreuen und den Vater zu entlasten. Stephans Vater faszinierte mich in seiner Art und im Umgang mit seinem Sohn so sehr, sodass ich mich schließlich in ihn verliebte. Stephans Mutter war zu diesem Zeitpunkt bereits früh verstorben.
Wir lebten schon eine Weile zusammen, als Stephans Vater mir nach einer Thailandreise, die er allein unternommen hatte, eröffnete, dass er nach Thailand auswandern wolle um dort sein Glück zu suchen. Ich bin aus allen Wolken gefallen, vor allem als er mir deutlich zu verstehen gab, dass weder Stephan noch ich in diesem Plan eine tragende Rolle spielten.
Stephan ist für mich ein ganz besonderes Kind und auch wenn er nicht mein leiblicher Sohn ist. Ich konnte mir weder damals noch heute vorstellen, mich von ihm zu trennen. Kurzum: Stephan blieb bei mir.
Der folgende Weg war steinig, denn ich war damals noch sehr jung, hatte gerade erst meine Ausbildung absolviert, hatte noch keine Ahnung vom Leben. Doch ich wusste, was ich wollte, und das war, mich um dieses Kind kümmern.
Meine Familie fand das wohl anfangs nicht so toll, doch sie haben mich in meiner Entscheidung trotzdem sehr unterstützt. Ich habe eine sehr starke Familie.
Zu Stephans leiblicher Familie haben wir heute keinen Kontakt mehr.
Mit meinem jetzigen Mann bin ich jetzt seit 11 Jahren zusammen. Als wir uns kennenlernten war von vornherein klar: Stephan und mich gibt es nur im Doppelpack.

Stephan und Lea © Bianca Hoffmann
Stephan mit Lea und Elli © Bianca Hoffmann

Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Stephan leidet an einem unbekannten Gendefekt. Eine Zuordung war den Ärzten bis zum heutigen Tag nicht möglich. Mit dem Erkrankungsbild ist Stephan wohl alleine auf dieser Welt. Zu seinen Diagnosen zählen Immunmangel, geistige und körperliche Behinderung, Sehschwäche, Schwerhörigkeit, cerebral Parese, Sprachstörung, autistische Züge, Kleinwuchs und noch vieles mehr.
Wenn wir Stephan ansehen, dann seher wir jedoch nicht seine Diagnosen, sondern dann sehen wir einen ganz bemerkenswerten Kämpfer. Er hat solch einen Lebensmut, Durchhaltewillen und jeden Tag begrüßt er die Welt mit seinem herzlichen Lächeln. So wie er mich verzaubert, so verzaubert er auch die anderen Menschen um sich herum.
Stephan hat mich auch viel gelehrt, vor allem was Geduld und Ausdauer angeht. Viele Hürden mussten wir nehmen, doch es reicht ein Blick in sein Gesicht und ich weiß wieder, warum wir diesen Kampf kämpfen.
Denn natürlich gibt es auch bei mir Tage, wo ich am liebsten alles hinwerfen würde, doch nicht wegen der Behinderung von Stephan, sondern vor allem wegen der furchtbaren Ignoranz mancher Mitmenschen.

Familie Hoffmann © Bianca Hoffmann
Familie Hoffmann © Bianca Hoffmann

Habt Ihr noch weitere Kinder? Wie kommen sie mit der besonderen Familiensituation zurecht?
Ja, wir haben noch zwei Mädchen. Lea ist 10 Jahre und die Sonne für Stephan. Sie liebt ihn so wie er ist und versucht, soviel wie möglich mit ihm zusammen zu bestreiten. Natürlich hätte sie gern auch mehr Zeit allein mit uns, doch weiß sie, dass Stephan durch seine Pflege und Therapien sehr viel Zuwendung benötigt. Sie ist eine sehr verständige und liebevolle Schwester.
Und dann gibt es noch Elli. Sie ist 13 Monate alt und eroberte Stephans Herz im Sturm. Durch dieses kleine Wesen bekommt Stephan täglich neue Impulse und Motivation. Seit es Elli gibt, hat Stephan nochmal einen riesigen Sprung in seiner Entwicklung gemacht. Er beobachtet sie sehr intensiv und genießt vor allem die Berührungen und Küsschen der Kleinen.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Um 6.00 Uhr ist die Nacht vorbei. Ganz in Ruhe starte ich mit meinen Mann in den Tag. Um 6.40 Uhr werden Stephan und Lea geweckt. Lea macht sich dann für die Schule fertig und ich Stephan für die Werkstatt, die er seit drei Jahren besucht. Er ist dort im Förderbereich, das heißt, sein Tag besteht überwiegend aus Therapien und Förderung. Der Schwerpunkt liegt darin, seine Selbständigkeit und seine Kommunikation zu trainieren, um ihn „lebensfitter“ zu machen.
Während wir uns anziehen, bereitet mein Mann die Brotdosen vor, kümmert sich um den Hund und öffnet das Tor für den Fahrdienst. Um 7.15 Uhr wird Stephan für die Werkstatt abgeholt und der Papa bringt Lea in die Schule. Für mich geht es dann zur Kleinsten. Sie wird für den Tag fertig gemacht und beide frühstücken wir. Der Vormittag gehört dann voll und ganz Elli. Wir spielen, gehen spazieren, machen Quatsch. Manchmal stehen Gespräche in der Werkstatt bei Stephan an, und so besuchen wir ihn beide in seinem Förderbereich.
Die Physiotherapie sichert mein Mann am Montag und Donnerstag um 8.00 Uhr ab.
Mittags, wenn Elli schläft werden die Hausarbeit erledigt, der Garten auf Vordermann gebracht oder wichtige Telefonate geführt.
Um 14.00 Uhr holen entweder Elli und ich zusammen Lea aus der Schule oder mein Mann fährt. Gegen 15.15 Uhr kommt Stephan mit dem Fahrdienst nach Hause. Am Nachmittag spielen wir dann alle zusammen, schaukeln, haben Spaß. So hat Stephan eine schöne Pause.
Am späten Nachmittag gibt es zu Hause noch einmal ca. 30 Minuten physiotherapeutische Übungen für ihn und ab 17.30 Uhr werden Stephan und Elli bettfertig gemacht (Abendbrot, baden, eine Geschichte vorlesen). Gegen 18.30 Uhr schlafen die beiden und wir haben bis 20.00 Uhr Zeit für Lea. In dieser Zeit gestalten wir den Abend meistens nach ihren Bedürfnissen.
Ab 20.00 Uhr ist dann auch Lea im Bett und wir können die Taschen für den nächsten Tag packen. Mein Mann ist selbstständig und macht ab 20.00 Uhr Bürozeit. Ich verbringe meine Abende leider erschreckend häufig damit, Anträge für Stephan ausfüllen, Widersprüche zu schreiben, oder mich über Hilfsmittel, Therapien und sonstige Dinge zu informieren, die uns das Leben leichter machen könnten. Selten kommt es vor, dass ich den Abend ganz in Ruhe auf dem Sofa verbringe.
Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Glücklich machen mich meine Kinder und mein Mann. Jeder kleinste Fortschritt von Stephan, die Entwicklung von Elli, die Freude über Lea, zum Beispiel, wenn sie strahlend aus der Schule berichtet.
Sehr anstrenden ist hingegen, dass wir das Gefühl haben, ständig um alles kämpfen zu müssen. Jedem kleinen Zugewinn an Lebensqualität geht meist ein langer, nervenzehrender Kampf gegen Behörden, Kassen, Leistungsträger voraus.
Dennoch machen wir immer weiter, eben weil es für Stephan nötig ist und Verbesserungen bringt. Aber es macht uns unendlich traurig, wenn wir von anderen hören, dass sie das Kämpfen aufgegeben haben, weil einfach die Kraft fehlt.
Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiert?
Stephan geht von Montag bis Freitag in die Werkstatt. Wenn er zuhause ist, versuchen wir, uns die Pflege weitesgehend zu teilen. Da mein Mann jedoch voll berufstätig ist, verbringe ich die meiste Zeit mit den Kindern und so auch mit Stephans Pflege.
Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
Ich bin gelernte Krankenschwester und war auch 12 Jahre lang in der Hauskrankenpflege tätigt. Seit fast 10 Jahre jedoch bin ich Hausfrau, denn durch die ständigen Erkrankungen von Stephan (Bronchitis und Lungenentzündungen) habe ich mich damals gegen meinen Beruf entschieden und für Stephan.
Heute, wo Stephan etwas stabiler ist, würde ich sehr gerne wieder arbeiten. Doch wer stellt schon – gerade im Schichtdienst – eine Mutter eines schwerstbehinderten Kindes ein?
Das ist wirklich schwierig!

Familie Hoffmann © Bianca Hoffmann
Familie Hoffmann © Bianca Hoffmann

Was bedeutet Urlaub für Euch?
Urlaub im Sinne von entspanntem Familienurlaub, zum Beispiel am Strand, gibt es bei uns nicht. Wenn wir verreisen, dann ist es meistens um Stephan besondere Therapien zu ermöglichen.
Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Bei der Planung stehen Stephans Bedürfnisse ganz klar im Vordergrund. Wir planen die Reiseziele danach, welche Therapien wir für Stephan für vielversprechend halten.
Auf den Reisen selbst ist Stephan erstaunlich unkompliziert. Wir müsse nur darauf achten, dass wir die Anreisen so planen, dass Stephan ausreichend Schlaf bekommt. Denn er schläft leider nicht, wenn wir unterwegs sind, sondern braucht zum Entspannen Ruhe und ein Bett.
Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Wir hatten das Glück, bereits sieben Mal mit Stephan zu den Delfinen zu fahren. Einmal waren wir in Florida, sechs mal in Curacao. Das ist jedes Mal etwas ganz besonderes und jedes Mal macht Stephan während oder kurz nach der Delfintherapie enorme Fortschritte. Beim letzten Mal hat er riesige Sprünge in der Kommunikation gemacht. Bis dahin hatten wir mit Stephan viel über Bildkarten kommuniziert. Da kam es leider häufig zu Unverständnis oder Missverständnissen und Stephan wurde bockig, weil wir seine Wünsche nicht richtig verstehen konnten. Nun nutzt Stephan einen Talker, mit dem er mittlerweile ganze Sätze „spricht“. Das eröffnet uns natürlich ganz neue Dimensionen der Kommunikation. Ich wusste beispielsweise garnicht, dass Stephan Marmelade mag.
Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Alle unsre Pläne und Wünsche drehen sich um unsre Kinder. Wir wünschen uns, dass sie in Frieden aufwachsen und ein erfülltes und glückliches Leben führen können.
Außerdem wünschen wir uns, dass sich in Deutschland einiges ändert in der Behindertenpolitik. Gerade wenn die Kinder über 18 Jahre sind, ist jeder Antrag, jede Verbesserung der Lebenssituation ein einziger Kampf. Das ist so unwürdig und so kräftezehrend.
Mein größter Wunsch wäre es, Stephan einmal sprechen zu hören. Aber ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, das kann nur die Zeit zeigen.
Sie haben Interesse, Ihre Geschichte mit uns zu teilen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter info@philip-julius.de. 

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